Why Croatia’s accession will strengthen the EU (in German)

Adriatic Croatia

Opinion piece (in German), 19 Oktober 2012

Warum Kroatiens Beitritt die EU stärken wird

Gerald Knaus und Kristof Bender

Den Anfang machte eine Schlagzeile der Frankfurter Allgemeinen am 9. Oktober: „Brüssel ermahnt Kroatien: ‚Bedingungen für Beitritt noch nicht erfüllt’.“ Dann meldete sich Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages, zu Wort: “Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Land nicht beitrittsfähig.” Bundestagspräsident Norbert Lammert erklärte: “Wir müssen … den jüngsten Fortschrittsbericht der EU-Kommission ernst nehmen: Kroatien ist offensichtlich
noch nicht beitrittsreif.“ Und am 15. Oktober schrieb Martin Winter in der Süddeutschen Zeitung, dass Kroatien in der Tat „nicht reif genug ist“, doch dass der Zug schon abgefahren sei. „Nur leider: Lammert kommt mit seinem Einwurf ein wenig spät.“

Es sind beunruhigende Nachrichten, verstörende Warnungen: Wird die EU durch eine überhastete Aufnahme eines unvorbereiteten Landes geschwächt? Hat die EU heute nicht schon genug Probleme?

Kroatien ist ärmer als Deutschland oder Österreich. Allerdings ist sein Durchschnittseinkommen vergleichbar mit dem in Ungarn und höher als in allen anderen Ländern des Westbalkans oder als in Rumänien und Bulgarien.

Kroatien wurde während seiner Beitrittsverhandlungen mehr geprüft als jedes andere Land, das bislang versuchte der EU beizutreten. Es stellte seinen Antrag auf Aufnahme 2003. Vor dem Öffnen und Schließen der 35 Verhandlungskapitel mussten immer konkrete Reformen umgesetzt, nicht (nur) EU-konforme Gesetze verabschiedet werden.

War das Europäische Parlament blauäugig, als es Anfang Dezember mit 564 gegen 38 Stimmen für Kroatiens Aufnahme stimmte? Was ist den 16 EU Mitgliedsstaaten, die Kroatiens Beitrittsvertrag bereits ratifiziert haben, entgangen? Denn man kann davon ausgehen: wäre Kroatien heute noch nicht reif für die EU, dann würde es das wohl auch zum vorgesehenen Beitrittstermin im Sommer 2013 nicht sein. Ernste Probleme lassen sich nicht in ein paar Monaten beheben.

Doch um welche Probleme geht es eigentlich, aufgrund derer dieses kleine Land (mit gut 4 Millionen so viele Einwohner
wie Rheinland-Pfalz) eine mögliche Belastung für die EU darstellen könnte?

Ein oft hervorgehobenes Thema ist Korruption. Hier ist allerdings im Fall Kroatiens der Grundtenor des von Lammert zitierten Kommissionsberichtes positiv. Die einzige konkrete Forderung der Kommission ist eine Selbstverständlichkeit: Kroatien müsse den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen fortsetzen. Im neuesten Korruptionsindex von Transparency International schneidet Kroatien so gut ab wie die Slowakei und besser als Italien und als alle anderen Länder Südosteuropas, einschliesslich der EU Mitglieder Griechenland, Bulgarien und Rumänien. In den letzten drei Jahren gab es eine Serie von Anklagen wegen Korruption, unter anderem gegen einen ehemaligen Premierminister, einen ehemaligen Vizepremier, gegen Minister, den Chef der Zollverwaltung, Manager von Staatsbetrieben und sogar gegen die frühere Regierungspartei. Natürlich gibt es weiter Korruption, in Kroatien so wie in Italien oder Österreich, aber es ist auch gerade in diesem Bereich sehr viel passiert.

Bezüglich der Umsetzung von EU-Gesetzgebung in Kroatien stellt der Kommissionsbericht fest: „Kroatien hat weitere Fortschritte in der Verabschiedung und Implementierung von EU Gesetzgebung gemacht und vollendet nun seine Angleichung mit dem acquis.“ Nicht alles ist gut: „Die Kommission hat Bereiche identifiziert, in denen weitere Bemühungen notwendig sind, und eine begrenzte Zahl von Aspekten, für die verstärkte Bemühungen erforderlich sind.“ Die Kommission nennt überdies noch zehn offene Punkte, auf die sie besonderen Wert legt, darunter die Vollendung der Privatisierung dreier Schiffswerften; die Verabschiedung eines neuen Informationszugangsgesetzes und einer Migrationsstrategie; den Ausbau zweier Grenzposten; oder weitere Anstellungen bei der Grenzpolizei (das wird, bis zu Kroatiens Schengenbeitritt, ein Thema bleiben).

Das sind alles sinnvolle Ziele. Doch entscheiden diese Punkte darüber, ob Kroatien als Mitglied die EU stärken oder schwächen würde?

Denn der tiefgreifendste und wichtigste Wandel in Kroatien seit 1999 ist neben der Umsetzung der EU Gesetze die Veränderung seiner politischen Kultur. Noch 1999 unterstützte Präsident Tudjman separatistische Kroaten in Bosnien. Er weigerte sich mit dem internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten. Er trat Minderheitenrechte, Pressefreiheit und andere demokratische Grundwerte mit Füßen. Als er im Dezember 1999 starb, war sein Land international isoliert.

Danach begann sich Kroatien dramatisch zu verändern, angefangen mit der Politik gegenüber Bosnien. Die Rückkehr vertriebener Serben wurde ermöglicht. Es kam 2003 sogar zu einer Koalition zwischen Tudjman’s ehemaliger Partei, der HDZ, und der Partei der kroatischen Serben. Alle vom Den Haager Tribunal angeklagten mutmaßlichen Kriegsverbrecher
wurden ausgeliefert.

Kroatien ist heute ein anderes, offeneres, liberaleres Land als 1999. In Serbien werden weiterhin von manchen die Massaker in Bosnien in Frage gestellt. 2010 besuchte Kroatiens Präsident Josipovic hingegen Bosnien und bat für im Namen Kroatiens
begangene Verbrechen um Verzeihung. In Belgrad wurde die Gay Parade erneut abgesagt; in Kroatien nahmen Minister an der Parade in Split teil.

Genau darin aber liegt auch die wichtigste Botschaft eines kroatischen Beitritts an seine Nachbarn in Südosteuropa: um eines Tages EU-Mitglied werden zu können, braucht es Verantwortung, Führung und den Mut, politische Risiken einzugehen. Es
braucht Ausdauer und einen starken nationalen Konsens. Es ist in jedem Fall ein Marathonlauf, wenn nicht gar ein Triathlon, und kein Sprint.

Auf absehbare Zeit wird keiner von Kroatiens südlichen Nachbarn der EU beitreten. Verhandungen brauchen auf jeden Fall viele Jahre. Bislang ist es nur Montenegro gelungen, diese zu beginnen. Doch ist es im Interesse, sowohl der EU als auch der Region, dass dieses Ziel glaubwürdig bleibt, in Belgrad, in Sarajevo, in Tirana, in Skopje.

Der Beitritt Kroatiens im Sommer 2013 wird die EU nicht schwächen. Im Gegenteil, schon jetzt haben die Veränderungen im Land, die das Versprechen eines EU Beitritts verursacht hat, den Einfluss der EU in Südosteuropa gestärkt. Es gibt viele Gründe, sich über den Beitritt Kroatiens zu freuen und diesen als kleinen, aber wichtigen europäischen Erfolg zu sehen.

 

Am Sonntag, 21.10.2012, wird auf ORF 2 um 23.05 der von ESI mitgestaltete Dokumentarfilm „Kroatien: Heldendämmerung“, eine neue Folge der preisgekrönten Serie „Balkanexpress – Return to Europe“, ausgestrahlt.

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